Transformationen
sind, schlicht
definiert, Veränderungsprozesse an Materialien, Landschaften, Elementen
u. Lebewesen. An sich betrachtet, die verlässlichste Konstante der Welt:
"Nichts ist so beständig wie der Wandel", stellte schon Heraklit vor
2500 Jahren fest.
Einflüsse der
Elemente - Wetter, Temperaturen, Druck u.v.m. - gestalten ständig die
gesamte Erdoberfläche um. Rost, Erosion, Versteinerungen, Verwitterung
von Holz/Pflanzen, Verwandlungen des Wassers sind nur einige dieser
transformatorischen Erscheinungen.
Auch menschliche Eingriffe wirken daran in
immer stärkerem Maße mit: Landschaften mit Braunkohle-Tagebau oder z.B.
die zerklüfteten Bergflanken von Carrara zeigen beispielhaft deren
Ausmaß. Abgesehen von diesen spektakulären Eingriffen, verlaufen die
meisten der natürlich ablaufenden Transformationen für die menschliche
Wahrnehmung eher unauffällig u. gewohnheitsmäßig: Rostende Metallteile
oder eine verwitterte Treibholzwurzel - achtlos streift der Blick
vorbei.
Sieht man jedoch etwas genauer hin, sozusagen mit einem "Makro-Blick",
lassen sich häufig interessante Verläufe, Farben, Strukturen u. Muster
entdecken, welche das ursprüngliche Material überlagern und verändern.
Der zweite, suchende Blick kann durchaus eine quasi naturgeschaffene
Kunstproduktion offenbaren, die Kategorien menschlich geprägter
Kunststile wie „Abstrakter Expressionismus“, „Farbfeldmalerei“ oder
„Informel“ nahekommt.
Diese oft
überraschende Kohärenz augenfälliger zu machen, die spürbare Nähe
naturgegebener Prozesse zu Ausdrucksformen der Kunst aufzuzeigen, ist
u.a. ein Schwerpunkt dieses Bildbandes.
Sowohl farblich als auch figurativ sind z.B.
überraschende Veränderungen in den unterschiedlichen Aggregatzuständen
des Wassers erkennbar - rein optisch im kolorierten Vexierspiel von
Spiegelungen; skulptural in phantastischen Ausformungen des Eises und
dessen Kristalle. Hier handelt es sich um nicht dauerhafte,
zeitbasiert-flüchtige Verwandlungen des Grundelements; ähnlich verhält
es sich bei den Transformationen einer Landschaft durch Nebel
und Schnee - oder
jenen des Himmels durch Wetterphänomene wie Fön und Gewitter.
Wahrscheinlich eine Phantasie-Grunderfahrung jedes Kindes ist das große
Wolkentheater mit den sich ständig verwandelnden Gesichtern oder
Gestalten am Himmel.
Auffälliger, weil
wesentlich dauerhafter, bemerkt man Transformationen an u. in Steinen.
Oft sind es
wunderliche, nicht selten anthropomorphe Formen von Felsen, die bei
einem Küstenspaziergang auffallen. Ausgesetzt den
transformatorischen Kräften des Windes, des Wassers u. des
Temperaturwechsels über lange Zeiträume, entstehen an solch exponierten
Stellen, ohne menschliches Zutun, surreale Bildhauer-Werke. Salvador
Dali betonte häufig, dass ihn die bizarren Felsen seiner Heimat am Cap
de Creus wesentlich zu seinen Werken inspiriert hätten.
In einem der
bedeutendsten Werke des klassischen Altertums - Ovids „Metamorphosen“ -
verwandeln sich Menschen der antiken Mythen in Steine, Pflanzen, Sterne.
Und wenn man sich einmal im Zwielicht des
Abends zwischen die Felsenskulpturen am Capo
Testa in Sardinien begibt, scheinen dort die
versteinerten Figuren der Ovidschen Erzählungen wieder aufzuerstehen:
die Steine beginnen zu flüstern, verwandeln sich zurück in existentielle
Erzählungen – aus Schatten werden Augen, aus Konturen entstehen Körper…
Unmerklich u. über lange Zeitspannen spielen sich Metamorphosen im
Inneren der Gesteine und der Biomasse ab. Druck und Hitze führ(t)en zu
unterschiedlichsten Texturen u. Einfärbungen durch Vermischung
verschiedener Mineralien. Am auffälligsten sind die seit langer Zeit
geschätzten Achate, deren freigelegtes „Innenleben“ vielfarbige
Bändermuster und mitunter
wahre Farbexplosionen zum Vorschein bringt.
Besonders in den Schnitten der durch Kieselsäure versteinerten
Baum-Achate – z.B. aus dem „Petrified Forest“ in Arizona – zeigen sich
verspielte Texturen und oft außergewöhnliche Farbmischungen.
Unter den lebenden Organismen gleichen die
kunstvollen Zeichnungen der Schmetterlinge denen der aufgeschnittenen
Quarzsteine/Achate, bereichert um die Symmetrie in den Flügeln.
Ein Schöpfungswunder en detail. Zum Staunen
auch die 4 Stufen der Metamorphose dieser
Spezies: Ei – Raupe – Puppe – Schmetterling.
Es sind einzigartige Transformationen bis zur Voll-endung in der Gestalt
des Schmetterlings. Ein Prozess, der sich über Jahre hinziehen kann.
An allen Lebewesen/Pflanzen lassen sich –
ergänzend zu der oben erwähnten, farbenprächtigen Verkieselung –
vielfältige andere Transformationsprozesse beobachten.
Neben der über lange
Zeiträume sich vollziehenden Fossilisation und Verkohlung zeigen sich
auch in kurzfristigeren Entwicklungsstadien interessante Verwandlungen:
Das Aufblühen u. spätere Vergehen (beispielsweise einer Sonnenblume)
sind – fotoästhetisch betrachtet – gleichwertige Stadien, wenngleich der
übliche, mediale Blick fast ausschließlich der blühenden Pflanze gilt.
Das Verwittern eines Baumstumpfes, seine allmähliche „Besiedelung“ durch
Pilze u. Flechten,
kann ihn - für eine gewisse Zeit - in ein Natur-Kunstwerk verwandeln.
Vorausgesetzt „das hungrige Auge (des Betrachters)
sieht, was es sucht“ (Max Slevogt). Der serielle
Vergleich unterschiedlicher Stadien der Entwicklung verdeutlicht noch
klarer die Intensität der Transformationen.
Auch die Menschen unterliegen naturgemäß diesen Wandlungen.
Alterungsprozesse der menschlichen Physiognomie, vom Kind zum Greis,
sind im direkten Bildervergleich fesselnde Betrachtungen und ermöglichen
weite Interpretationsfelder über gelebtes Leben, dessen Brüche und
Wandlungen. In einer interessanten Langzeitstudie hat z.B. die
Fotografin Herlinde Koelbl in ihrem Bildband „Spuren der Macht. Die
Verwandlung des Menschen durch das Amt“ diese Transformationen in den
Gesichtern bekannter Politiker/innen dokumentiert.
Indes verwandeln sich die Menschen seit
altersher in diversen Kulten auch ganz bewusst. Der Wunsch, ein Anderer
zu sein, offenbart sich in vielen festlichen Ritualen weltweit – ob beim
venezianischen Karneval oder in den balinesischen Barong-Tänzen. Die
kunstvollen Maskeraden und aufwändigen Gesicht- u. Körperbemalungen im
Zeichen dieser Jahrhunderte alten Kulte beweisen, wie tief der
Transformationswunsch in der menschlichen Seele verwurzelt ist.
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